LiebesgedichteLiebesgedichte

Das Gedicht „Der Rabe“ stammt von Edgar Allan Poe.

Übersetzung Adolf Strodtmann (1862)

Einst zur Nachtzeit, trüb und schaurig, als ich schmerzensmüd und traurig
Saß und brütend sann ob mancher seltsam halb vergeßnen Lehr', –
Als ich fast in Schlaf gefallen, hörte plötzlich ich erschallen
An der Tür ein leises Hallen, gleich als ob's ein Klopfen wär'.
»'S ist ein Wandrer wohl«, so sprach ich, »der verirrt von ungefähr,
Ein Verirrter, sonst Nichts mehr.«

In der rauhsten Zeit des Jahres, im Dezembermonat war es,
Flackernd warf ein wunderbares Licht das Feuer rings umher.
Heiß ersehnte ich den Morgen; – aus den Büchern, ach! zu borgen
War kein Trost für meine Sorgen um die Maid, geliebt so sehr,
Um die Maid, die jetzt Lenore wird genannt im Engelsheer –
Hier, ach, nennt kein Wort sie mehr!

Jedes Rascheln, jedes Rauschen in des seidnen Vorhangs Bauschen
Weckt' in mir ein ängstlich Grausen, das ich nie gefühlt vorher,
Also dass, mein Herzenspochen zu betäuben, ich gesprochen:
»Ei, wer sollte jetzt wohl pochen, wenn es nicht ein Wandrer wär'? –
Ja, ein Wandrer, der an meiner Tür verirrt von ungefähr –
Das wird's sein, und sonst Nichts mehr.«

Und ermutigt so stand ich auf, und Kraft und Ruhe fand ich;
»Um Verzeihung, Herr«, so sprach ich, »oder Dame, oder wer!
Doch ich war in Schlaf gefallen, und so leise war das Schallen
Eures Pochens, dass sein Hallen kaum gedrungen zu mir her.« –
Damit stieß ich auf die Türe: – »Tretet ein, wer da ist, wer!« –
Dunkel rings, und sonst Nichts mehr.

Ängstlich in das Dunkel starrend blieb ich stehn, verwundert, harrend,
Träume träumend, die kein armer Erdensohn geträumt vorher.
Doch nur von des Herzens Pochen ward die Stille unterbrochen,
Und als einz'ges Wort gesprochen ward: »Lenore?« kummerschwer.
Selber sprach ich's, und: »Lenore!« trug das Echo zu mir her, –
Nur dies Wort, und sonst Nichts mehr.

Und zurückgekehrt ins Zimmer, stürmisch aufgeregt wie nimmer,
Hört' ich bald ein neues Klopfen, etwas lauter als vorher.
»Sicher an dem Fensterladen pocht' es – wohl, es kann nicht schaden,
Dass ich suche nach dem Faden, der dies Räthsel mir erklär', –
Still, mein Herz, ein Weilchen, dass ich dieses Rätsel mir erklär'!
'S ist der Wind, und sonst Nichts mehr!«

Auf riss ich das Fenster klirrend – siehe, gravitätisch schwirrend
Schritt ein Rabe, groß und mächtig, in das Zimmer zu mir her.
Nicht mit einem Gruß bedacht' er mich, kein Dankeszeichen macht' er.
Vornehm stolz zur Ruhe bracht' er sein Gefieder regenschwer,
Flog auf eine Pallasbüste ob der Türe sacht und schwer, –
Saß dort still, und sonst Nichts mehr.

Und der schwarze Vogel machte, dass ich trotz der Trauer lachte,
So possierlich ernst und finster saß ob meiner Türe er.
»Ob dein Kamm auch kahl geschoren, bist als Feigling nicht geboren,
Alter Rabe, der verloren irrt im nächt'gen Schattenmeer!
Sprich, wie bist du denn geheißen im pluton'schen Schattenmeer?«
Sprach der Rabe: »Nimmermehr.«

Und den Unhold mit Erstaunen hört' ich also deutlich raunen,
Ob die Antwort auch geschienen wenig tief und inhaltsschwer;
Denn wir müssen wohl gestehen, dass es Keinem noch geschehen,
Einen Vogel je zu sehen, der vor ihm gesessen wär',
Der auf einer Büste über seiner Tür gesessen wär',
Mit dem Namen »Nimmermehr«.

Doch der Rabe auf der Büste sprach das eine Wort, als wüßte
Dies er nur, als ob sein ganzes Herz darin ergossen wär'.
Nichts, das weiter ihn erregte, keine Feder er bewegte,
Bis ich leis die Lippen regte: »Andre Freunde flohn seither –
Morgen wird auch er entfliehen, wie die Hoffnung floh seither.«
Sprach der Vogel: »Nimmermehr.«

Als die Stille unterbrochen jenes Wort, so klug gesprochen,
Dacht' ich: Was er sagt, ist sicher seine ganze Mär' und Lehr',
Die er seinem Herrn, dem armen, abgelauscht, den ohn' Erbarmen
Schlug das Unglück, bis der warmen Hoffnung Stern erlosch im Meer,
Bis von Einer Trauerklage alle seine Lieder schwer,
Von der Klage: »Nimmermehr!«

Immer noch der Rabe machte, dass ich trotz der Trübsal lachte;
Einen Sammetsessel endlich rollt' ich näher zu ihm her.
In die Polster mich versenkend, sann ich, Arm in Arm verschränkend,
Träumrisch nach, bei mir bedenkend, was von dieses Vogels Mär',
Was der Sinn von des gespenstisch finstern Vogels Krächzen wär',
Der da schnarrte: »Nimmermehr.«

Also düstern Sinnens pflag ich, doch kein Wort zum Vogel sprach ich.
Ob sein Feuerauge brennend mir am tiefsten Herzen zehr'.
Dies und mehr wünscht' ich zu wissen, meine Brust von Schmerz zerrissen,
Als ich ruht' auf sammtnen Kissen, überstrahlt vom Lichte hehr,
Ach, auf diesen sammtnen Kissen, überstrahlt vom Lichte hehr,
Ruhet sie jetzt nimmermehr!

Schwül dann ward und qualmig enge um mich her die Luft, als schwänge
Unsichtbare Weihrauchfässer, wandelnd leis, ein Seraphsheer.
»Gott hat Trost für dich erkoren durch die Engel lichtgeboren!«
Rief ich, – »o vergiss Lenoren, die dein Herz geliebt so sehr
Atme auf, vergiss Lenoren, die geliebt du allzu sehr!« –
Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«

»Düstrer Bote!« frug voll Zweifel ich, »ob Vogel oder Teufel, –
Ob dich der Versucher sandte, ob der Sturm dich jagte her, –
Du, der nimmer mich verschonet, der im Unholdslande wohnet,
Wo das nächt'ge Grauen thronet, künde mir, was ich begehr':
Ist kein Balsam denn in Gilead? – künde, was ich heiß begehr'!«
Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«

»Düstrer Bote!« frug voll Zweifel ich, »ob Vogel oder Teufel!
Bei dem Himmel droben, bei dem Gott, den ich, wie du, verehr':
Find' ich, sprich! an Edens Toren wieder einst, die ich verloren,
Jene Maid, die man jetzt Lenoren nennt im Engelsheer, –
Die Geweihte, die Lenoren jetzt man nennt im Engelsheer?« –
Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«

»Vogel oder Teufel, hebe dich hinweg!« so rief ich, »schwebe
Wieder in den Sturm zurück und in das nächt'ge Schattenmeer!
Keine Feder laß als Zeichen mir der Lüge sonder Gleichen!
Sollst von meiner Tür entweichen! von der Büste fort dich scheer!
Fort! und reiß aus meinem Herzen deines Schnabels scharfen Speer!« –
Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«

Und der Rabe, schwarz und dunkel, sitzt mit krächzendem Gemunkel
Noch auf meiner Pallasbüste ob der Tür bedeutungsschwer.
Seine Dämonaugen glühen unheilvoll mit wildem Sprühen,
Seiner Flügel Schatten ziehen an dem Boden breit umher;
Und mein Herz wird aus dem Schatten, der mich einhüllt weit umher,
Sich erheben – nimmermehr!


Der Rabe (Édouard Manet)

Die Illustration (1875) des Gedichts durch den französischen Impressionisten Édouard Manet war eine von vielen, die nach der ersten Veröffentlichung angefertigt wurden.



Übersetzung Carl Theodor Eben (1869)

Mitternacht umgab mich schaurig, als ich einsam, trüb und traurig,
Sinnend saß und las von mancher längst verklung’nen Mähr’ und Lehr’ –
Als ich schon mit matten Blicken im Begriff, in Schlaf zu nicken,
Hörte plötzlich ich ein Ticken an die Zimmertüre her;
„Ein Besuch wohl noch,“ so dacht’ ich, „den der Zufall führet her –
Ein Besuch und sonst Nichts mehr.“

Wohl hab’ ich’s im Sinn behalten, im Dezember war’s, im kalten,
Und gespenstige Gestalten warf des Feuers Schein umher.
Sehnlich wünscht’ ich mir den Morgen, keine Lind’rung war zu borgen
Aus den Büchern für die Sorgen – für die Sorgen tief und schwer
Um die Sel’ge, die Lenoren nennt der Engel heilig Heer –
Hier, ach, nennt sie Niemand mehr!

Jedes Rauschen der Gardinen, die mir wie Gespenster schienen,
Füllte nun mein Herz mit Schrecken – Schrecken nie gefühlt vorher;
Wie es bebte, wie es zagte, bis ich endlich wieder sagte:
„Ein Besuch wohl, der es wagte, in der Nacht zu kommen her –
Ein Besuch, der spät es wagte, in der Nacht zu kommen her;
Dies allein und sonst Nichts mehr.“

Und ermannt nach diesen Worten öffnete ich stracks die Pforten:
„Dame oder Herr,“ so sprach ich, „bitte um Verzeihung sehr!
Doch ich war mit matten Blicken im Begriff, in Schlaf zu nicken,
Und so leis scholl Euer Ticken an die Zimmertüre her,
Dass ich kaum es recht vernommen; doch nun seid willkommen sehr!“ –
Dunkel da und sonst Nichts mehr.

Düster in das Dunkel schauend stand ich lange starr und grauend,
Träume träumend, die hienieden nie ein Mensch geträumt vorher;
Zweifel schwarz den Sinn betörte, Nichts die Stille draußen störte,
Nur das eine Wort man hörte, nur „Lenore?“ klang es her;
Selber haucht’ ich’s, und „Lenore!“ trug das Echo trauernd her –
Einzig dies und sonst Nichts mehr.

Als ich nun mit tiefem Bangen wieder in’s Gemach gegangen,
Hört’ ich bald ein neues Pochen, etwas lauter als vorher.
„Sicher,“ sprach ich da mit Beben, „an das Fenster pocht’ es eben,
Nun wohlan, so laß mich streben, dass ich mir das Ding erklär’ –
Still, mein Herz, dass ich mit Ruhe dies Geheimnis mir erklär’
Wohl der Wind und sonst Nichts mehr.“

Riss jetzt das Fenster auf, und herein stolziert’ – o Wunder!
Ein gewalt’ger, hochbejahrter Rabe schwirrend zu mir her;
Flog mit mächt’gen Flügelstreichen, ohne Gruß und Dankeszeichen,
Stolz und stattlich sonder Gleichen, nach der Türe hoch und her –
Flog nach einer Pallasbüste ob der Türe hoch und her –
Setzte sich und sonst Nichts mehr.

Und trotz meiner Trauer brachte er dahin mich, dass ich lachte,
So gesetzt und gravitätisch herrscht’ auf meiner Büste er.
„Ob auch alt und nah dem Grabe,“ sprach ich, „bist kein feiger Knabe,
Grimmer, glatt geschor’ner Rabe, der Du kamst vom Schattenheer –
Sprich, welch’ stolzen Namen führst Du in der Nacht pluton’schem Heer?“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr.“

Ganz erstaunt war ich, zu hören dies Geschöpf mich so belehren,
Schien auch wenig Sinn zu liegen in dem Wort bedeutungsleer;
Denn wohl Keiner könnte sagen, dass ihm je in seinen Tagen
Sonder Zier und sonder Zagen so ein Tier erschienen wär’,
Das auf seiner Marmorbüste ob der Tür gesessen wär’
Mit dem Namen „Nimmermehr.“

Dieses Wort nur sprach der Rabe dumpf und hohl, wie aus dem Grabe,
Als ob seine ganze Seele in dem einen Worte wär’.
Weiter Nichts ward dann gesprochen, nur mein Herz noch hört’ ich pochen,
Bis das Schweigen ich gebrochen: „Andre Freunde floh’n seither –
Morgen wird auch er mich fliehen, wie die Hoffnung floh seither.“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“

Immer höher stieg mein Staunen bei des Raben dunklem Raunen,
Doch ich dachte: „Ohne Zweifel weiß er dies und sonst Nichts mehr;
Hat’s von seinem armen Meister, dem des Unglücks finstre Geister
Drohten dreist und drohten dreister, bis er trüb und trauerschwer –
Bis ihm schwand der Hoffnung Schimmer, und er fortan seufzte schwer:
‚O nimmer – nimmermehr!‘“

Trotz der Trauer wieder brachte er dahin mich, dass ich lachte;
Einen Armstuhl endlich rollte ich zu Tür und Vogel her.
In den sammt’nen Kissen liegend, in die Hand die Wange schmiegend,
Sann ich, hin und her mich wiegend, was des Wortes Deutung wär’ –
Was der grimme, finst’re Vogel aus dem nächt’gen Schattenheer
Wollt’ mit seinem „Nimmermehr.“

Dieses saß ich still ermessend, doch des Vogels nicht vergessend,
Dessen Feueraugen jetzt mir das Herz beklemmten sehr;
Und mit schmerzlichen Gefühlen ließ mein Haupt ich lange wühlen
In den veilchenfarb’nen Pfühlen, überstrahlt vom Lichte hehr –
Ach, in diesen sammtnen Pfühlen, überstrahlt vom Lichte hehr –
Ruhet sie jetzt nimmermehr!

Und ich wähnte, durch die Lüfte wallten süße Weihrauchdüfte,
Ausgestreut durch unsichtbare Seraphshände um mich her.
„Lethe,“ rief ich, „süße Spende schickt Dir Gott durch Engelshände,
Dass sich von Lenoren wende Deine Trauer tief und schwer!
Nimm, o nimm die süße Spende und vergiss der Trauer schwer!“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“

„Gramprophet!“ rief ich voll Zweifel, „ob Du Vogel oder Teufel!
Ob die Hölle Dich mir sandte, ob der Sturm Dich wehte her!
Du, der von des Orkus Strande – Du, der von dem Schreckenlande
Sich zu mir, dem Trüben, wandte – künde mir mein heiß Begehr:
Find’ ich Balsam noch in Gilead! ist noch Trost im Gnadenmeer?“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“

„Gramprophet!“ rief ich voll Zweifel, „ob Du Vogel oder Teufel!
Bei dem ew’gen Himmel droben, bei dem Gott, den ich verehr’ –
Künde mir, ob ich Lenoren, die hienieden ich verloren,
Wieder find’ an Edens Toren – sie, die thront im Engelsheer –
Jene Sel’ge, die Lenoren nennt der Engel heilig Heer!“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“

„Sei dies Wort das Trennungszeichen! Vogel, Dämon, Du musst weichen!
Fleuch zurück zum Sturmesgrauen, oder zum pluton’schen Heer!
Keine Feder lass zurücke mir als Zeichen Deiner Tücke;
Lass allein mich dem Geschicke – wage nie Dich wieder her!
Fort und lass mein Herz in Frieden, das gepeinigt Du so sehr!“
Sprach der Rabe: „Nimmermehr!“

Und der Rabe weichet nimmer – sitzt noch immer, sitzt noch immer
Auf der blassen Pallasbüste ob der Türe hoch und her;
Sitzt mit geisterhaftem Munkeln, seine Feueraugen funkeln
Gar dämonisch aus dem dunkeln, düstern Schatten um ihn her;
Und mein Geist wird aus dem Schatten, den er breitet um mich her,
Sich erheben – nimmermehr!

Übersetzung Hedwig Lachmann (1891)

Eines Nachts aus gelben Blättern mit verblichnen Runenlettern
Tote Mähren suchend, sammelnd, von des Zeitenmeers Gestaden,
Müde in die Zeilen blickend und zuletzt im Schlafe nickend,
Hört’ ich plötzlich leise klopfen, leise doch vernehmlich klopfen
Und fuhr auf erschrocken stammelnd: „Einer von den Kameraden,“
„Einer von den Kameraden!“

In dem letzten Mond des Jahres, um die zwölfte Stunde war es,
Und ein wunderlich Rumoren klang mir fort und fort im Ohre,
Sehnlichst harrte ich des Tages, jedes neuen Glockenschlages,
In das Buch vor mir versenken wollt’ ich all mein trüb’ Gedenken,
Meine Träume von Lenoren, meinen Schmerz um Leonore,
Um die tote Leonore

Seltsame, phantastisch wilde, unerklärliche Gebilde,
Schwarz und dicht gleich undurchsicht’gen, nächtig dunklen Nebelschwaden
Huschten aus den Zimmerecken, füllten mich mit tausend Schrecken,
So dass ich nun bleich und schlotternd, immer wieder angstvoll stotternd,
Murmelte, mich zu beschwicht’gen: „Einer von den Kameraden,“
„Einer von den Kameraden!“

Alsbald aber mich ermannend, fragt’ ich jede Scheu verbannend,
Wen der Weg noch zu mir führe: Mit wem habe ich die Ehre,
Hub ich an weltmännisch höflich, Sie verzeihen, ich bin sträflich,
Dass ich Sie nicht gleich vernommen, seien Sie mir hochwillkommen,
Hiermit öffnet’ ich die Türe – nichts als schaudervolle Leere,
Schwarze, schaudervolle Leere.

Lang in dieses Dunkel starrend, stand ich fürchtend, stand ich harrend,
Fürchtend, harrend, zweifelnd, staunend, meine ganze Seel’ im Ohre –
Doch die Nacht blieb ungelichtet, tiefes Schwarz auf Schwarz geschichtet,
Und das Schweigen ungebrochen, und nichts weiter ward gesprochen,
Als das Eine flüsternd, raunend: das gehauchte Wort „Leonore“,
Das ich flüsterte: „Leonore!“

In mein Zimmer wiederkehrend und zum Sessel flüchtend, während
Schatten meinen Blick umflorten, hörte ich von neuem klopfen,
Diesmal aber etwas lauter, gleichsam kecker und vertrauter.
An dem Laden ist es, sagt’ ich, und mich zu erheben wagt’ ich,
Sprach mir Mut zu mit den Worten: Sicher sind es Regentropfen,
Weiter nichts als Regentropfen.

Und ich öffnete: Bedächtig schritt ein Rabe groß und nächtig
Mit verwildertem Gefieder in’s Gemach und gravitätisch
Mit dem ernsten Kopfe nickend, flüchtig durch das Zimmer blickend,
Flog er auf das Türgerüste und auf einer Pallasbüste
Ließ er sich gemächlich nieder, saß dort stolz und majestätisch,
Selbstbewusst und majestätisch.

Ob der herrischen Verfahrens und des würdigen Gebahrens
Dieses wunderlichen Gastes schier belustigt, sprach ich: Grimmer
Unglücksbote des Gestades an dem Flußgebiet des Hades,
Du bist sicher hochgeboren, kommst du gradewegs von den Toren
Des plutonischen Palastes? Sag’ wie nennt man dich dort? „Nimmer“
Hört’ ich da vernehmlich: „Nimmer!“

Wahrlich, ich muß eingestehen, dass mich seltsame Ideen
Bei dem dunklen Wort durch schwirrten, ja, dass mir Gedanken kamen,
Zweifel vom bizarrsten Schlage, – und es ist wohl keine Frage,
Dass dies wunderlich Begebnis ein vereinzeltes Erlebnis:
Einen Raben zu bewirten mit solch ominösem Namen,
Solchem ominösen Namen.

Doch mein düsterer Gefährte sprach nichts weiter und gewährte
Mir kein Zeichen der Beachtung. Lautlos stille ward’s im Zimmer,
Bis ich traumhaft, abgebrochen (halb gedacht und halb gesprochen)
Raunte: Andre Freunde gingen, morgen hebt auch er die Schwingen,
Lässt dich wieder in Umnachtung. Da vernahm ich deutlich „Nimmer“,
Deutlich und verständlich: „Nimmer“.

Stutzig über die Repliken, maß ich ihn mit scheuen Blicken,
Sprechend: Dies ist zweifelsohne sein gesamter Schatz an Worten,
Einem Herren abgefangen, dem das Unglück nachgegangen,
Nachgegangen, nachgelaufen, bis er auf dem Trümmerhaufen
Seines Glücks dies monotone „Nimmer“ seufzte allerorten.
Jederzeit und allerorten.

Doch der Rabe blieb possierlich würdevoll und unwillkürlich
Musst’ ich lächeln ob des Wichtes: Aldann mitten in das Zimmer
Einen sammtnen Sessel rückend und mich in die Polster drückend,
Sann ich angesichts des grimmen, dürren, ominösen, schlimmen
Künders göttlichen Gerichtes, über dieses dunkle „Nimmer“,
Dieses rätselhafte „Nimmer“.

Dies und anderes erwog ich, in die Traumeslande flog ich,
Losgelöst von jeder Fessel. Von der Lampe fiel ein Schimmer
Auf die violetten Stühle und auf meinem sammt’nen Pfühle
Lag ich lange, traumverloren, schwang mich auf zu Leonoren,
Die in diesen sammtnen Sessel nimmermehr sich lehnet, nimmer,
Nimmer, nimmer, nimmer, nimmer.

Plötzlich ward es in mir lichter, und die Luft im Zimmer dichter,
Als ob Weihrauch sie durchwehte. Und an diesem Hoffnungsschimmer
Mich erwärmend, rief ich: Manna, Manna, schickst du Gott, Hosianna!
Lob ihm, der dir Gnade spendet, der dir seine Engel sendet,
Trink’, o trink’ aus dieser Lethe und vergiß Lenore! „Nimmer“,
Krächzte da der Rabe „Nimmer“.

„Nachtprophet, erzeugt vom Zweifel, seist du Vogel oder Teufel,
Triumphierend ob der Sünder Zähneklappern und Gewimmer –
Hier aus dieser dürren Wüste, dieser Stätte geiler Lüste,
Hoffnungslos, doch ungebrochen und noch rein und unbestochen,
Frag’ ich dich, du Schicksalskünder: Ist in Gilead Balsam?“ „Nimmer“,
Krächzte da der Rabe „Nimmer“.

„Nachtprophet, erzeugt vom Zweifel, seist du Vogel oder Teufel,
Bei dem göttlichen Erbarmen, lösch nicht diesen letzten Schimmer!
Sag’ mir, find ich nach dem trüben Erdenwallen einst dort drüben
Sie, die von dem Engelschore wird geheißen Leonore?
Werd ich sie dort nicht umarmen, meine Leonore? „Nimmer“,
Krächzte da der Rabe „Nimmer“.

Feind, du lügst, heb’ dich von hinnen, schrie ich auf beinah von Sinnen,
Dorthin zieh’, wo Schatten wallen unter Winseln und Gewimmer,
Kehr’ zurück zum dunklen Strande, lass kein Federchen zum Pfande
Dessen, was du prophezeitest, dass du diesen Ort entweihtest,
Nimm aus meiner Brust die Krallen, hebe dich von hinnen! „Nimmer“,
Krächzte da der Rabe „Nimmer“.

Und auf meinem Türgerüste, auf der bleichen Pallasbüste,
Unverdrossen, ohn’ Ermatten sitzt mein dunkler Gast noch immer.
Sein Dämonenauge funkelt und sein Schattenriss verdunkelt
Das Gemach, schwillt immer mächt’ger und wird immer grabesnächtger –
Und aus diesem schweren Schatten hebt sich meine Seele nimmer –
Nimmer, nimmer, nimmer, nimmer. –

 

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